Über den Fall Kagarlitsky
Wir spiegeln im Folgenden eine Erklärung des RKSM(b), der von der Solidaritätskampagne unterstützten russischen kommunistischen Organisation, zur Prozess gegen den marxistischen Historiker und Soziologen Boris Kargalitsky.
Text im englischsprachigen Original
Am 25. Juli klagte der FSB den bekannten linken Soziologen Boris Kagarlitsky wegen “öffentlicher Rechtfertigung von Terrorismus” an. Der Grund war ein Satz aus einem Video, das vom Herbst 2022 stammt. Nach seiner Verhaftung wurde Kagarlitsky nach Syktyvkar gebracht. Das Gericht, das in nichtöffentlicher Sitzung tagte, wies ihm eine Zwangsmaßnahme zu – 2 Monate Arrest.
Was passiert hier?
- Es ist ein logischer und erwarteter Prozess, dass sich die russische Staatsmaschinerie immer schneller in Richtung einer ungezügelten, auf Terror basierenden Reaktion bewegt. Wie in der Ukraine werden bald nur noch national orientierte “Sozialisten” gesetzlich erlaubt sein.
- Der Fall gegen Kagarlitsky ist zusammen mit anderen prominenten Verhaftungen ein Symptom für die anschwellende Säuberung der Überreste jeglicher (rechter und linker) Opposition in Russland.
- Zudem ist es nicht nur ein politischer Fall, sondern auch eine Musterauspeitschung, ein Akt der Einschüchterung, mit dem die Behörden Andersdenkenden sagen: Entweder du hältst den Mund, du gehst weg, oder dich erwartet das gleiche Schicksal.
- Die treuen Diener der Bourgeoisie – von den Nationalpatrioten bis zu den Sozialchauvinisten – versuchen, dasselbe in ihren Worten zu sagen. Das sind diejenigen, die offen zur Verfolgung von Kommunisten und zur Klassenvereinigung mit “ihrem” Kapital aufrufen.
Was uns das sagen kann
- Die russischen Behörden bereiten sich aktiv auf eine starke Eskalation der Feindseligkeiten in den kommenden Monaten vor. Das bedeutet noch mehr Spannungen in allen Bereichen und folglich eine Verschärfung aller inneren Widersprüche. Ein solches Umfeld erfordert maximale Sicherheit vor dem “inneren Feind”. Mit der Vernunft ist es vorbei.
- Vielleicht sprechen wir nicht nur über eine Eskalation in der Ukraine, sondern auch über einen neuen Schritt in den Abgrund des imperialistischen Weltkriegs. Dafür sprechen indirekt die jüngsten Ereignisse innerhalb und außerhalb des Landes: Kartapolows Äußerungen [Anm. KO: Kartapolow ist ein russischer Dumaabgeordneter der Regierungspartei Einiges Russland], die betont antipolnische Rhetorik russischer Politiker, die Verlegung von NATO-Truppen an die östlichen Grenzen Polens und des Baltikums, Schoigus Besuch in Korea, die Verstärkung der amerikanischen Militärpräsenz in Südostasien und am Persischen Golf sowie eine Reihe gefährlicher Zwischenfälle am Himmel über Syrien.
Was zu beachten ist
- Wie wir vorausgesagt haben, hat noch niemand ernsthaft angefangen. Die Hoffnungen der NATO-Agenten, Liberalen und ihrer “linken” Hintermänner auf eine baldige Niederlage der Russischen Föderation haben sich nicht erfüllt. Idealismus und Kindereien lassen viele Menschen auch nach anderthalb Jahren noch hoffen, dass der Zusammenbruch des Regimes vor der Tür steht. Wie die verräterischen Sozialchauvinisten sehen sie das Geschehen immer noch als einen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, Russland und dem Westen, aber nicht als die Anfangsphase eines globalen imperialistischen Krieges.
- Die russische Wirtschaft wird von Chinas “großem Bruder” über Wasser gehalten und wird das auch weiterhin tun. Das russische Repressionssystem wird nicht schwächer, sondern stärker werden. Schon jetzt kann es jeden Widerstand der Opposition leicht unterdrücken. Vor allem dann, wenn sie – seien wir ehrlich – keine breite Unterstützung in der Bevölkerung hat.
- Wenn nötig, kann sich der Staat auf einen neuen Freikorps (von Kriminellen bis zu ideologischen Solidaristen) verlassen, der unter verschiedenen Flaggen (von der imperialen bis zur roten) die schmutzigsten Aufträge der Bourgeoisie ausführt.
- Der Korridor der legalen Möglichkeiten für die Kommunisten verengt sich praktisch auf Null.
Was man nicht tun sollte
- Nicht überrascht oder entsetzt reagieren. Nichts verfluchen, nicht nach Logik in den “Gesetzen” suchen, nicht an das Gewissen oder die Vernunft der herrschenden Klasse appellieren, nicht versuchen, die Handlungen der seelenlosen und gut geölten Unterdrückungsmaschine durch Händeringen, durch öffentliche und demonstrative Aktionen zu beeinflussen.
- Nicht emotional reagieren, sich impulsiv verhalten und so die reaktionären Kräfte zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung zu provozieren, die selbst bescheidene Ergebnisse der Organisations- und Propagandaarbeit vollständig zunichte machen kann.
- Es ist inakzeptabel, sich in öffentlichen Reden auf die Seite des einen oder anderen imperialistischen Lagers zu schlagen, mit einem internationalen Publikum zu flirten und mit unbegründeten Begriffen zu jonglieren, die nicht nur den Redner, sondern auch diejenigen, die kommunistische Positionen vertreten, in Gefahr bringen können.
Was zu tun ist
- Bereite dich weiterhin auf die Arbeit unter allen, auch den ungünstigsten Bedingungen vor. Erinnere dich an die Erfahrungen unserer Vorgänger – von den Bolschewiki bis zum antifaschistischen Untergrund. Zeige ein Höchstmaß an Wachsamkeit und Umsicht. Sowohl in Aktionen als auch in Erklärungen.
- Stärke die Verbindungen zur Arbeiterklasse weiter und nutze dabei alle verfügbaren Mittel und Möglichkeiten.
Ohne eine mit der Theorie bewaffnete Arbeiterklasse sind wir nichts. Mit ihr sind wir unbesiegbar.